Kunst als Protestform, Selbstbehauptung und Erinnerung: Das Bella Donna Haus in Bad Oldesloe zeigt bis zum 18. September 2025 die Bilder der afghanischen Künstlerin Maryam Murawejzada. In Abwesenheit der Malerin, die ihr Heimatland zwei Monate nach der Machtübernahme der Taliban verlassen und im Iran Zuflucht gefunden hat, eröffneten Rosa Mare vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, die Dichterin und frühere Journalistin bei Radio ISAF der Bundeswehr Farangis Sawgand sowie Madina Arshkayan, Lehrerin und Sprecherin des Afghanischen Stammtisches Kiel, die Ausstellung mit einer Vernissage.
Wie beschreibt man in Worten, ob mündlich oder schriftlich, das Leid der Frauen und Mädchen in Afghanistan, das ihnen seit der Machtübernahme durch die Taliban vor vier Jahren tagtäglich widerfährt? Rosa Mara vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein liest in Abwesenheit eine Rede der Künstlerin Maryam Murawejzada vor, die sich im Iran versteckt hält aus Angst vor der Abschiebung in ihr Heimatland. „Als Künstlerin drücke ich diesen Schmerz nicht mit Worten, sondern mit Farbe aus. Meine Sammlung ‚Erstickender Schmerz‘ spricht für Tausende von zum Schweigen gebrachten Stimmen. Ich stelle Frauen dar, die auf ein fernes Licht starren, Bücher hinter Gittern, Hände, die nach der Zukunft greifen“, beschreibt die Malerin ihre Bilder, die ab sofort im Bella Donna Haus zu sehen sind. „The sea of sorrow and pain“, Withered flowers“, „Veiled Dreams: Reflection of an Afghan Graduate“, „Suffocating Pain“ und „The situation of Afghan women and not having the right to study“ heißen die Werke und zeigen Mädchen und Frauen in Angst, Unterdrückung und Schmerz, aber auch mit einem mutigen und starken Blick in eine bessere Zukunft irgendwann. „Der Weg ist lang, aber ich werde ihn mit farbenbefleckten Händen gehen. Bis zum Tag, an dem jedes afghanische Mädchen ein Buch statt Trauer in der Hand halten kann, bis Klassenzimmer wieder von ihrem Lachen erfüllt sind, bis wir Gleichheit und Freiheit haben können – wird meine Kunst ihre Stimme sein. Und ich werde nicht aufhören“, so Maryam Murawejzada in ihrer Rede.
Seit der Machtübernahme der Taliban sind Mädchen und Frauen in Afghanistan vom öffentlichen Leben komplett ausgeschlossen. Dies bedeutet vor allem, dass sie ihres grundlegendsten Rechts überhaupt beraubt wurden: Der Bildung. Mädchen dürfen nur noch die Grundschule besuchen, der weitere Schulbesuch in der Sekundarstufe wird immer mehr Mädchen verwehrt. Frauen dürfen nicht mehr studieren. „Afghanistan ist das einzige Land der Welt, in der Frauen nichts machen dürfen. Sie sitzen nur zuhause. Vor der Machtüber der Taliban waren alle Frauen meiner Familie berufstätig. Jetzt dürfen sie sich nicht mehr frei bewegen, nicht in einen Park gehen oder sich mit einer Freundin treffen“, berichtet Farangis Sawgand, Dichterin und ehemalige Abgeordnete des Provinzrates von Mazar-e-Sharif und des Jugendkongresses in Kabul. In den Jahren von 1996 bis 2001, als die Taliban in Afghanistan an der Macht waren, war Farangis noch ein Kind. „Ich erinnere mich an den Morgen, als draußen laute Männer waren. Unsere Mutter hat mich und meine Schwester unter Bettwäsche versteckt. Mein Vater wurde von den Männern aus dem Haus geführt und draußen auf der Straße erschossen. Ich habe dies mit eigenen Augen gesehen. Meine Mutter hat uns gerettet. Sie hat uns Mathe und Englisch beigebracht, lesen und schreiben gelehrt. Nach dem Ende der Taliban-Regierung 2001 konnte ich ab der 5. Klasse die Schule besuchen“, so Farangis Sawgand, die durch die internationale Unterstützung des Landes in Freiheit leben und studieren konnte.
Seit dem Abzug westlicher Truppen im Sommer 2021 hat sich die Lebensrealität von Frauen und Mädchen in Afghanistan extrem verschlechtert. „Das Leben unter den Taliban bedeutet Bildungsverbot für Mädchen, Berufsverbote für Frauen, den Ausschluss aus der Öffentlichkeit und politische Verfolgung und Gewalt, kein kulturelles Leben, kein Sport“, sagt Madina Arshkayan vom Afghanischen Stammtisch Kiel, der sich kurz nach der Machtübernahme der Taliban gegründet hat. Aber die Repressionen gegen afghanische Frauen finden nicht nur in ihrem Heimatland, sondern weltweit statt. „In meiner Heimat leiden die Frauen unter Repression, Hunger und Entrechtung. Hier in Deutschland leiden sie unter Bürokratie, Rassismus und großer Unsicherheit“, so die Sprecherin des Stammtisches. „Vor der letzten Bundestagswahl ging der Afghanistan-Rassismus hier in Deutschland durch die Decke“, erklärt die engagierte Frau. Die Forderungen des Stammtisches sind mannigfach: Keine Visa oder Anerkennungen durch Taliban-Institutionen wie zum Beispiel das Konsulat in München, das mit den Taliban kooperiert, die Ausweitung und Transparenz in Aufnahmeprogrammen, sichere Wege für Familiennachzug, unbefristete Aufenthaltserlaubnisse für alle Schutzberechtigten und echte Perspektiven für Ortskräfte und gefährdete Gruppen. „Unabhängig vom ‚Wert‘ des Menschen, ob er oder sie zum Beispiel für die deutsche Gesellschaft von Nutzen ist, brauchen wir das Recht auf Sicherheit und Leben. Die Menschenrechte müssen auf die Agenda“, macht Madina Arshkayan deutlich. Sie berichtet von den Gefängnissen, in denen Frauen mehrfach vergewaltigt und ermordet werden, vom Selbstmord vieler Frauen oder, sollten sie aus dem Gefängnis entlassen werden, von der Stigmatisierung durch die eigenen Familien nach einer Haft. „Kommst du aus als Frau aus dem Gefängnis, bist du kein Mensch mehr. Viele bringen sich um“, so die Afghanin. Das Video der Aktivistin Julia Parsi, das auf der Vernissage gezeigt wird, verdeutlich das Ausmaß der Situation vieler Frauen. Parsi, im Gefängnis gefoltert und vergewaltigt, sollte in die Bundesrepublik geholt werden. „Die neue Regierung hat alles abgesagt. Nach einem Aufenthalt in Pakistan ist sie nun in Brasilien, schwer traumatisiert und mit einer ungewissen Zukunft“, fügt sie hinzu.
Rosa Mare vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein fordert deutliche Maßnahmen der Bundesregierung auf politischer, moralischer und rechtlicher Ebene. „Statt – wie von Herrn Dobrindt vorgeschlagen – mit den Taliban zu verhandeln, was einer faktischen Anerkennung des Terrorregimes gleichkäme, sollte die Bundesregierung ihrer Verantwortung gerecht werden und zugesagte Aufnahmen schnellstmöglich umsetzen“, so die Projektleiterin und betont, dass jede Verschiebung der Entscheidungen über die Einreise ein Spiel mit der Zeit ist, dass für viele Betroffene Folter und Tod zur Folge haben kann.
Die Bilder von Maryam Murawejzada sprechen all dieses Leid aus. „Jedes einzelne Bild der Ausstellung erzählt eine Geschichte, die sie erlebt hat, zeigt einen reellen Hintergrund“, weiß der Bruder der Malerin. Mit zweien seiner Töchter ist er zur Vernissage gekommen. Er erzählt von seiner Entscheidung, Afghanistan zu verlassen: „Ich habe das Land für meine Töchter verlassen, die sich über Monate verstecken mussten. Vom ersten Tag der Machtübernahme durften sie ohne Burka das Haus nicht mehr verlassen.“ Und Farangis Sawgand weiß: „Seit der Machtübernahme müssen sich alle Frauen im Land vollständig bedecken, damit Männer durch ihren Anblick nicht erregt werden.“
Am Ende der Vernissage kommen einzelne Fragen aus der Zuhörerschaft. Eine Frau möchte wissen, wie die afghanischen Männer auf die Verbote für die Frauen reagieren. „Viele Männer arrangieren sich mit den Taliban, da sie gezwungen sind. Sie ändern ihre Gewänder, lassen sich einen Bart stehen, werden eingeschüchtert und haben Angst. Sie müssen arbeiten und die Familien versorgen, oftmals mit vielen Kindern, deswegen protestieren sie nicht“, sagt der Bruder von Maryam Murawejzada.
Wer mehr über die Situation von Menschen aus Afghanistan im Land selbst oder hier in Deutschland erfahren oder sich engagieren möchte, findet alle Informationen auf der Homepage vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein unter www.frsh.de. Der Afghanische Stammtisch Verein Schleswig-Holstein ist über Facebook und Instagram zu erreichen.
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