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Viele prominente Persönlichkeiten, wie die hier genannten, waren von Legasthenie betroffen.

Wenn das Schreiben und Rechnen schwer fällt

Der Legaverein in Bargteheide hilft Kindern und Jugendlichen mit einer Lese-, Rechtschreib- und Rechenstörung. Seine Trainingsstunden sind eine wichtige Förderung neben den schulischen Angeboten

Text und Foto: Christian Thiesen

Bargteheide Was haben Johannes Gutenberg, Leonardo da Vinci, Albert Einstein, Winston Churchill und John Lennon gemeinsam? Nun, sie waren allesamt Legastheniker, also Menschen mit einer Lese- und Rechtschreibstörung. So wie schätzungsweise drei bis elf Prozent der Kinder und Erwachsenen in Deutschland es sind. Rund drei bis sieben Prozent der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland wiederum haben mit Dyskalkulie zu kämpfen, also einer Rechenschwäche.

Unter den Betroffenen von Legasthenie und Dyskalkulie sind viele Kinder und Jugendliche. Um ihnen in Stormarn zu helfen, hat sich 1978 aus einer Gruppe engagierter Eltern der Verein zur Förderung legasthenischer Kinder, kurz Legaverein, in Bargteheide gegründet. Dort bekommen die Betroffenen Trainingsstunden und Übungsmöglichkeiten in den Vereinsräumen an der Lindenstraße 3, um ihre Schreib-, Lese- und Rechenfertigkeiten zu verbessern, den Umgang mit ihren Störungen zu lernen und so wieder Freude am Lernen zu finden.

So wie an einem Dienstagnachmittag Katharina (12 Jahre alt), Till (14) und Samuel (12). Konzentriert sitzen sie rund um einen Tisch und bearbeiten Aufgaben auf Arbeitsblättern, die anschließend besprochen werden. „Im Wort Tariflohn kommt Floh vor“, sagt Samuel. Die anderen nicken zustimmend. „Und in Kaffeekanne das Tier Affe“, fährt Samuel fort. Wieder stimmen die anderen zu. Der Hintergrund: Die drei haben jeder ein Arbeitsblatt bekommen mit drei Reihen verschiedenster Wörter. In einer Reihe haben sich in den Wörtern Vornamen, in einer anderen Körperteile und in der dritten Reihe eben Tiernamen versteckt. Diese müssen die Jugendlichen mit Lese- und Schreibstörung herausfinden und gesondert aufschreiben.

In einer anderen Übung arbeiten die drei Schüler mit Bleistift und Lineal. Sie sollen mit Buchstaben gekennzeichnete Punkte miteinander verbinden, erst in alphabetischer Reihenfolge, dann bestimmte Buchstabenpaare. Auf demselben Aufgabenblatt müssen sie noch die Muster von Zahlenreihen erkennen und die Reihen fortsetzen.    

Angeleitet und betreut werden die Jugendlichen während ihrer Übungsstunde von Sabine Uhle. Sie ist eine von drei Trainerinnen, die für den Legaverein Bargteheide tätig sind. Hauptberuflich ist sie Erzieherin in einer Kita in Bargteheide, vor zehn Jahren hat sie sich zur diplomierten Legasthenie-Trainerin weitergebildet. Im Verein gibt sie vier Stunden pro Woche Trainings- und Übungsstunden für Kinder und Jugendliche mit Legasthenie.

„Wir machen Übungen zur Rechtschreibung, Worterarbeitung und Lesetechnik“, sagt Sabine Uhle, „aber auch zur Förderung von Konzentration und Aufmerksamkeit und zur Sinneswahrnehmung.“ Dazu gehören etwa auch Aufgaben und Übungen, in denen gemalt, mit Gegenständen Figuren gelegt und sich bewegt wird. Letzteres zum Beispiel auf einem Parcours, der zudem das Gedächtnis trainiert. „Wir arbeiten nach der Methode AFS, das bedeutet Aufmerksamkeit, Funktion und Symptom“, mit Training für diese Bereiche“, erklärt Trainerin Uhle.

Für all das hat der Verein mehrere Räume in Bargteheide angemietet. Dort stellt er das nötige Schreib- und Arbeitsmaterial bereit. Gefördert werden Schülerinnen und Schüler ab der 1. Klasse in Gruppen von maximal fünf Teilnehmern. Der Legaverein bietet neben Training und Übungen aber auch eine Beratung für Kinder, Jugendliche, Eltern, Erzieher und Lehrer für Fragen zu Legasthenie und Dyskalkulie.

Aktuell hat der Bargteheider Verein rund 40 Mitglieder, aus deren Familien nehmen 33 Kinder und Jugendliche aus Bargteheide, Ahrensburg und Umgebung an den angebotenen Trainingsstunden teil. Bei letzteren sind derzeit noch Plätze frei und somit noch Möglichkeiten für die Hilfe für Betroffene vorhanden. Mitglieder zahlen einen Beitrag von 65 Euro im Monat und können die Angebote des Vereins nutzen, für Geschwisterkinder gibt es einen ermäßigten Beitrag von 42 Euro.

„Es müsste mehr Förderung für die betroffenen Familien geben, etwa dass der Staat die Beiträge und Kosten für private Hilfsangebote übernimmt“, sagt Michael Wippermann, der Vorsitzende des Legavereins. Er hat einen zehnjährigen Sohn, bei dem Legasthenie festgestellt wurde. „Wichtig wäre auch mehr Betreuung für die betroffenen Kinder an den Schulen“, so Wippermann. So brauche es vor allem Hilfsangebote wie das in Bargteheide, um Beratung und Training anzubieten.

„Private Vereine wie der unsere sind unverzichtbar, um den Kindern und Jugendlichen mit Legasthenie und Dyskalkulie zu helfen“, sagt auch Bianca Anne Mohn-Schippmann, Mitglied und frühere langjährige Vorsitzende des Legavereins. „Die Schulen sollten häufiger mit solchen Vereinen und Organisationen zusammenarbeiten und ihre Hilfsangebote dadurch besser gestalten.“ Bianca Anne Mohn-Schippmann hat vielfältige Erfahrung mit Legasthenie: Sie ist selbst betroffen, ebenso wie ihre Geschwister und ihr Vater. Und auch bei zwei ihrer drei Kinder wurde die Lese- und Rechtschreibstörung festgestellt, sie sind und waren seit der 2. Klasse beim Training im Legaverein.

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Gemeinsam mit Legasthenie-Trainerin Sabine Uhle bearbeiten Samuel (v.r.), Katharina und Till beim Legaverein in Bargteheide Aufgaben zur Behandlung ihrer Lese-und Rechtschreibstörung.

Die Angebote der Schulen für Kinder und Jugendliche hat sie teilweise als mangelhaft empfunden. „Der Förderunterricht für meinen Sohn war einmal in der Woche, und das oft zu ungünstigen Zeiten, etwa 20 Minuten morgens vor der ersten Stunde oder zum Schluss in der achten Stunde“, berichtet Bianca Anne Mohn-Schippmann. Entsprechend wünscht sie sich Verbesserungen an den Schulen. Dazu gehört für sie mehr Zeit für die Betreuung und dass die zu machenden Aufgaben etwa bei Klassenarbeiten von den Lehrern vorgelesen werden. „Schön wäre auch, wenn Schüler mit Legasthenie nicht vor der Klasse vorlesen müssen, das erspart ihnen demütigende Erfahrungen.“ 

Wer als Kind von Legasthenie oder Dyskalkulie betroffen ist, kann dies in der Grundschule mit einem besonderen Test offiziell feststellen und sich bescheinigen lassen. Der oder die Betroffene hat dann in der Schulzeit das Recht auf mehr Zeit bei Klassenarbeiten und Klausuren sowie darauf, dass seine Rechtschreibleistungen nicht in die Benotung einfließen. Bis zu dem Test und manchmal auch danach hängt es jedoch oft vom Verständnis und Entgegenkommen der Lehrer ab, wie mit offensichtlichen Lese-, Rechtschreib- und Rechenstörungen im Unterricht umgegangen wird und wie sie sich auf die Noten auswirken. „Einmal hat mein Sohn die Aufgaben einer Klassenarbeit einfach größer ausgedruckt bekommen, so als ob er eine Sehschwäche hätte und dadurch nicht gut lesen konnte“, erzählt Bianca Anne Mohn-Schippmann.

Umso wichtiger sei die Hilfe und Förderung durch den Legaverein Bargteheide gewesen, so Mohn-Schippmann. „Eltern sollten offen und aufgeschlossen mit Legasthenie oder Dyskalkulie umgehen, ihre Kinder bei dem Thema abholen und sich nicht scheuen, Fördermöglichkeiten zu nutzen“, sagt die dreifache Mutter. „Legasthenie ist keine Behinderung und schränkt die Berufswahl nicht komplett ein“, betont sie. Allerdings rät sie auch zur Geduld. „Eltern sollten nicht erwarten, dass sich der Erfolg von Übungsstunden schnell einstellt. Das ist ein langer Prozess.“

Auch die Kinder in der dienstäglichen Trainingsstunde von Sabine Uhle im Legaverein haben über die Jahre Fortschritte gemacht und ihre Fertigkeiten beim Lesen und Schreiben stetig verbessert. Das hilft ihnen, vor allem im Schulalltag ihre Problematik zu bewältigen, neben den für sie geltenden Sonderregeln. „Ich habe mehr Zeit bei Arbeiten und zum Beispiel bei Vokabeltests werden Rechtschreibfehler nicht bewertet“, berichtet Till. Der 14-Jährige geht wie Katharina und Samuel auf die Friedrich-Junge-Gemeinschaftsschule in Großhansdorf.

„Mit den meisten Lehrern komme ich gut klar, sie berücksichtigen meine Legasthenie“, erzählt Katharina. „Nur meine Klassenlehrerin versteht das nicht, trotz vieler Gespräche.“ Sie versucht vor allem über die mündliche Mitarbeit gute Noten zu erreichen. Das Gute: „Meine Mitschüler respektieren mich so wie ich bin und hänseln mich nicht. Sie helfen mir, wenn ich mal Probleme beim Lesen und Schreiben habe.“ 

Weitere Informationen auch im Internet unter www.legaverein-bargteheide.de       

Der Legaverein Bargteheide ist unter folgenden Kontaktdaten erreichbar:

Verein zur Förderung legasthenischer Kinder e. V., Lindenstraße 3,  22941 Bargteheide,
Telefon 04532 / 2 34 94,
Email: info@legaverein-bargteheide.de

Was ist Legasthenie und Dyskalkulie?

Die Legasthenie, auch Schreib-Lesestörung oder Lese-Rechtschreibstörung, ist eine besondere Lernstörung. Das heißt, dass bei Betroffenen nicht alle Bereiche des Lernens, sondern allein das Erlernen von Schreiben und Lesen beeinträchtigt ist. Bei Menschen mit Legasthenie ist die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben vermindert. Das bedeutet aber nicht, dass Menschen mit Legasthenie weniger intelligent sind. Legasthenikern fällt es nur schwer, die gesprochene Sprache in die geschriebene umzuwandeln und umgekehrt. Jungen sind davon häufiger betroffen als Mädchen. Man hat zudem festgestellt, dass eine Lese-Rechtschreibstörung familiär gehäuft vorkommt. So haben Studien herausgefunden, dass 50 Prozent der betroffenen Kinder einen Elternteil haben, der ebenfalls von einer Legasthenie betroffen ist.

Legasthenie schließt eine (Hoch-)Begabung in anderen Bereichen nicht aus. So liegen bei Legasthenikern die übrigen schulischen Leistungen meist im normalen Bereich. Studien deuten darauf hin, dass bei den Betroffenen nur die fürs Lesen und/oder Schreiben zuständigen Hirn-Bereiche eingeschränkt arbeiten.

Die Symptome der Legasthenie sind sehr unterschiedlich ausgeprägt. Kinder haben anfangs zum Beispiel Probleme, das Alphabet aufzusagen, sie verwechseln Buchstaben beim Schreiben oder verdrehen beim Vorlesen Wort-Teile oder Buchstaben. Bei manchen Kindern ist zudem die Aufmerksamkeit gestört oder es bestehen Störungen des Sozialverhaltens. Die meisten Betroffenen haben sowohl eine Lese- als auch eine Rechtschreib-Störung. Es gibt aber auch Legastheniker, die nur eine der beiden Störungen aufweisen.

Für betroffene Schulkinder ist Legasthenie oft eine Belastung. Da sie sich unbekannte Wörter mühsam erarbeiten müssen, geraten sie in Klassenarbeiten oft unter Zeitdruck. Zusätzlich ist es psychisch belastend, dass sie meist viele Fehler machen. Entsprechend haben (junge) Legastheniker oft wenig Selbstbewusstsein und Angst vor der Schule. Sogar Depressionen sind möglich. Zusammen mit einer Lese- und/oder Rechtschreib-Störung tritt manchmal auch eine verminderte Rechenfähigkeit (Dyskalkulie) auf.

Wichtig: Eine Legasthenie ist etwas anderes als eine „normale" Lese- und Rechtschreib-Schwäche. Letztere tritt vielleicht zeitweise auf, etwa wenn ein Kind ungünstigen psychosozialen Faktoren wie einem Wohnungswechsel oder einer Scheidung der Eltern ausgesetzt ist. Anders als bei einer Legasthenie spielen genetische Faktoren hier keine Rolle. Das Kind kann, unter Umständen mithilfe einer kinderpsychologischen Begleitung, in den meisten Fällen seine Probleme beim Lesen und Schreiben wieder lösen. Eine Lese-Rechtschreib-Schwäche bezeichnet man also nur als Legasthenie, wenn sie genetisch bedingt beziehungsweise vererbbar ist.

Demgegenüber ist Dyskalkulie eine Rechenschwäche. Auch sie gehört zu den sogenannten Lernstörungen. Hintergrund ist auch hier ein Ausfall von Hirnleistungen. Eine Rechenschwäche fällt in fast allen Fällen bereits im Kindesalter auf. Betroffene haben große Probleme mit Zahlen und Mengen. Dadurch erfassen sie selbst einfache Rechnungen nur schwer oder gar nicht. Infolge der Rechenschwäche sind nicht nur die Leistungen in Mathematik, sondern auch im Physik- oder Chemieunterricht schwach. Dyskalkulie lässt sich nicht durch eine geringe Schulausbildung, verminderte Intelligenz oder sensorische Störungen wie Taubheit erklären.

Dyskalkulie ist behandelbar, aber nicht heilbar. Die Dyskalkulie-Therapie basiert fast ausschließlich auf einer individuellen und gezielten Förderung des betroffenen Kindes. Die Betroffenen erhalten keine medizinischen Maßnahmen, vor allem keine Medikamente. Ein frühzeitiger Beginn der Behandlung verhindert einen zu großen Leistungsrückstand im Verhältnis zu Klassenkameraden. Die individuelle Unterstützung bei Dyskalkulie besteht aus Rechentraining, Verhaltenstherapie und neuropsychologischem Training.

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