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Der ›Muschelläufer‹ – umstrittene Kunst in Ahrensburg

Der Muscheläufer gilt als eine umstrittene Kunst in Ahrensburg - Bettina Albrod arbeitet die Geschehnisse um den Muschelläufer auf. Ein Beitrag aus dem Jahrbuch 2024 des Heimatbundes Stormarn.

Text und Bilder: Bettina Albrod

Am 13. August 2005 wurde auf dem Ahrensburger Rondeel das Kunstwerk ›Muschelläufer‹ enthüllt, das von Beginn an eine Diskussion über Kunst im öffentlichen Raum anstieß. Die Skulptur war ein Geschenk des Rotary Club Ahrensburg an die Stadt, der damit sein 25-jähriges Bestehen feierte. Zuvor war ein Wettbewerb ausgeschrieben worden, den der Kieler Künstler Martin Wolke für sich entschieden hatte. Der Rotary Club zahlte 25.000 Euro für die Skulptur, die eine Jury ausgewählt hatte. 

Martin Wolke, 1971 in München geboren, studierte von 1993 bis 1999 bei Jan Koblasa in Kiel an der Muthesius Kunsthochschule Bildhauerei. Im Jahr 2000 erhielt er einen Lehrauftrag an der Christian Albrechts Universität zu Kiel, 2003 an der Muthesius Kunsthochschule, an der er bis 2006 die Bildhauerwerkstatt leitete. Zu seinen bekanntesten Werken zählt die Gruppe ›Reisende Riesen im Wind‹ am Bahnhof Westerland auf Sylt. Wolke hat zudem die Skulptur ›Schwimmübungen‹ im Kurpark Eckernförde geschaffen. »Seine teils aus Fiberglas gefertigten, oftmals mit spielerischen oder kuriosen Motiven geschaffenen Werke für den öffentlichen Raum stellen gewohnte Sichtweisen in Frage oder provozierten auch – teils schon im Vorfeld der Realisierung – immer wieder lebhafte und kontroverse Diskussionen«, heißt es über seine Kunst.

Ursprünglich interaktives Kunstwerk

Der ›Muschelläufer‹ wird im Stormarn-Lexikon von Karin Gröwer beschrieben: »Ein blonder Mann in blauem Anzug steht barfuß auf dem Gehäuse einer riesigen Wellhornschnecke. Seine linke Hand steckt in der Hosentasche. Aus dem nach vorne abwärts gerichteten rechten Arm wächst anstatt einer Hand eine Muschel.« Ursprünglich war das fast vier Meter große Kunstwerk aus Fiberglas in Comic-Farben als interaktives Kunstwerk geplant: Sprach man in die Handmuschel hinein, kam der Ton ebenso wie die Umgebungsgeräusche aus der großen Öffnung der Wellhornschnecke verstärkt wieder heraus. Der Toneffekt wurde jedoch bald nach Aufstellung der Skulptur abgeschaltet. Zur Konzeption hatte auch gehört, dass das Kunstwerk bespielbar sein sollte. 

Zur Bedeutung erläutert Karin Gröwer: »Muschel und Wellhornschnecke sollen ein verlassenes Heim und gleichzeitig das Finden eines neuen Zuhauses symbolisieren. Sekundär ist dem Muschelläufer, der als ›Kunst im Öffentlichen Raum‹ gilt, die Bedeutung als Diskursobjekt über die Freiheit der Kunst und die Toleranz gegenüber Andersdenkenden zugewachsen.«Kritik entzündete sich von Beginn an unter anderem daran, dass Bürger das Motiv der Muschel für einen Standort im Binnenland ungeeignet fanden. Dazu kam, dass die Figur die barocke Blickachse in Richtung Schloss störe.

Eine Woche lang dauerte es, bis das Fundament auf dem Rondeel für die fast 400 Kilogramm schwere Figur fertig war. Schon bei der Enthüllung polarisierte die Skulptur. »Die Meinungen reichen von ›mutig‹ und ›modern‹ bis zu ›unpassend‹ und ›überflüssig‹«, schrieb die ›Ahrensburger Zeitung‹.

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Bürgerentscheid rechtlich nicht zulässig

Kurz nach der Enthüllung startete ein Ahrensburger Einwohner eine Unterschriftensammlung, um die Figur per Mehrheitsentscheid entfernen zu lassen, und übergab der Politik 1.600 Unterschriften. Doch die Politiker entschieden, dass die Figur bleibt. Ein Bürgerentscheid zur Versetzung des Kunstwerks an einen neuen Standort scheiterte 2006 daran, dass er rechtlich nicht zulässig war.

Auch der Künstler hatte dafür seine Zustimmung verweigert. Sein Urheberrecht gilt 70 Jahre lang. Er beharrte auf dem Standort, weil das Kunstwerk damals für das Ahrensburger Rondeel entworfen worden war. Auch als erwogen wurde, die Skulptur für 10.000 Euro Transportkosten innerhalb der Stadt in die Hagener Allee umzusetzen, verweigerte Wolke sein Einverständnis. Seine Bedingung, dass auf dem Rondeel dann kein anderes Kunstwerk stehen dürfe, außer es wäre von ihm, war zuvor abgelehnt worden.

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Hohe Kosten für die Stadt Ahrensburg

Über die Jahre kam der ›Muschelläufer‹ die Stadt teuer zu stehen. Von Beginn an gab es Vandalismusschäden an der Skulptur, die auf Kosten der Stadt Ahrensburg repariert werden mussten. Mehr als 10.000 Euro waren bis 2019 zusammen gekommen. Schon gleich nach der Enthüllung war das Kunstwerk mit Graffitti beschmiert worden. Später zerstörten Unbekannte den linken Fuß der Figur bei dem Versuch, sie mit einer Brechstange vom Sockel zu hebeln. Danach musste die Stadt 6.500 Euro für die Reparatur durch Wolke zahlen. 

In den Folgejahren gab es immer wieder Schmierereien. Der ›Muschelläufer‹ wurde verkleidet, gab dem ›Muschellauf‹ seinen Namen – einem Spaßwettlauf durch die Stadt, bei dem es als Preise ›ungewollte Geschenke‹ zu gewinnen gab –, bekam das Schild ›zu verschenken‹ um den Hals, Wildpinkler nutzten ihn als Urinal und ein Bölleranschlag zerstörte 2010 eine Hand der Skulptur, die seitdem mit Klebeband geflickt war. 2014 beschädigte ein erneuter Bölleranschlag auch die große Muschel, die von Mitarbeitern des Bauhofs notdürftig wieder zusammengeklebt wurde.

2010 stufte der TÜV den ›Muschelläufer‹ als Spielplatz ein, weil er als Spielgerät benutzt wird, und verlangte einen Granulatbelag rund um das Kunstwerk. Kinder durften aus Sicherheitsgründen nicht mehr auf dem ›Muschelläufer‹ spielen. Im Februar 2020 baute die Stadt die Figur wegen fehlender Standsicherheit ab und brachte sie zum Bauhof. Die Untersuchung durch eine Fachfirma ergab, dass der Schaden rund 30.000 Euro beträgt.

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Rechtsstreit drohte

Die Stadt Ahrensburg macht neben dem Vandalismus auch Konstruktionsfehler für die Risse in der Skulptur verantwortlich und wollte, dass der Künstler sich an den Reparaturkosten beteiligt. Der lehnte das ab und erklärte die Stadt für verantwortlich, weil sie die Vandalismusschäden nicht verhindert habe. Da es zu keiner Einigung kam, drohte ein Rechtsstreit. Weil der Stadtkasse hohe Reparaturkosten bevorstanden, fand der ›Muschelläufer‹ im Oktober 2020 auch Eingang in das Schwarzbuch der Steuerzahler.

Im Januar 2023 schloss die Stadt mit Martin Wolke einen Vergleich: Der Künstler nimmt das Kunstwerk zurück, die Stadt übernimmt die Transportkosten in Höhe von 2.000 Euro und verzichtet auf sämtliche Eigentums- und Nutzungsrechte. Bis zu seinem Abtransport war der ›Muschelläufer‹ in Folie verpackt auf dem Gelände des Bauhofs gelagert worden.

Anmerkungen:

  1. ›Martin Wolke‹, wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Wolke , abgerufen am 12.2.2023.
  2. https://www.kultur-stormarn.de/kunst-im-oeffentlichen-raum/kunstwerke/view/4 , abgerufen am 12.2.2023.
  3. https://sh-kunst.de/martin-wolke-muschellaeufer/ , abgerufen am 12.2.2023.
  4. Stormarnlexikon, ›Muschelläufer‹, Beitrag von Karin Gröwer, https://www.stormarnlexikon.de/muschellaeufer/ abgerufen am 12. 2. 2023.
  5. ebd.
  6. https://dev.mehrdemokratie.de/datenbank-buergerbegehren?tx_buergerbegehren_list%5Baction%5D=show&tx_buergerbegehren_list%5Bcontroller%5D=Initiative&tx_buergerbegehren_list%5Buid%5D=9329&cHash=8e3ba51babd2bcb6e570d0e254b366e4 , abgerufen am 12.2.2023.
  7. https://www.steuerzahler.de/fileadmin/user_upload/Schwarzb%C3%BCcher/Das_Schwarzbuch_2020.pdf.

    Die Informationen entstammen Artikeln aus der ›Ahrensburger Zeitung‹, dem ›Hamburger Abendblatt Stormarn‹ und den ›Lübecker Nachrichten/Stormarn‹ aus den Jahren 2005 bis 2023, die im Kreisarchiv Stormarn archiviert oder im Internet abrufbar sind.

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